NZZ Nr. 53, 5. März 1999

Chandigarh überdenken

Le Corbusiers Ikone moderner Stadtplanung nach 50 Jahren

Vor 50 Jahren beschloss die Regierung Indiens die Gründung einer neuen Hauptstadt für den Gliedstaat Punjab: Chandigarh. Obwohl international häufig kritisiert, geniesst die „City Beautiful“ in Indien einen vorzüglichen Ruf. Das explosive Bevölkerungswachstum schafft nun aber soziale und urbanistische Probleme, die dringend gelöst werden müssen.

Aus dem 1949 gefassten Entschluss der indischen Regierung, Chandigarh zu bauen, erwuchsen zwei Mythen: Die neue Hauptstadt Punjabs hat Symbolcharakter für die 1947 gewonnene Unabhängigkeit Indiens. Zugleich verkörpert sie die einzig realisierte Stadtplanung Le Corbusiers. Kein Wunder also, dass in den fünfziger und sechziger Jahren die internationale Architekturszene die Entwicklungen in Chandigarh, wo eine Regierung sich mit der architektonischen Avantgarde verbündet hatte, mit grossem Interesse verfolgte. Während Ludwig Mies van der Rohe in den USA mit seinen feinen, präzis detaillierten Stahl- und Glasbauten Zeichen setzte, schuf Le Corbusier in Indien das Gegenteil. Hier entstanden monumentale, expressive Gebilde aus rohem Sichtbeton mit wuchtigen Formen und plastisch modellierte Fassaden. Die Bauten für das Kapitol – den Sitz der Regierung – zählen zu Recht zu den Höhepunkten seines Spätwerkes. 

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